Kino, Vergewaltigung, Kultur

Ein offener Brief

An die Kinobetreibenden und Firmen, welche den neuen Film von Roman Polanski „Intrige“ produziert, vertrieben und aufgeführt haben

Und an alle, die sich immer noch fragen, warum es hier um einen gewaltätigen Skandal geht

Es passiert noch immer. Wir schweigen aber nicht mehr. Es wird immer noch von der Gesellschaft bagatellisiert, ja sogar legitimiert. Wir bleiben aktiv, aktiver denn je, und handeln. Wir dürfen nicht zulassen, dass die westliche Kultur einen Vergewaltiger weiter verehrt und damit letzlich allen Betroffenen sexualisierter Gewalt ins Gesicht spuckt.

In den USA hat 1977 Roman Polanski im Alter von 43 Jahren die damals
13-jährige Samantha Geiger vergewaltigt, floh vor der Verurteilung nach Frankreich und wurde seitdem noch von mindestens vier weiteren Frauen der Vergewaltigung beschuldigt. Bis heute hat er sich der Urteilsverkündung
entzogen, keinen der betroffenen Personen wurde bisher Gerechtigkeit zuteil.

 

Es ist für uns absolut absolut irrelevant, ob Polanski, H. Weinstein oder Christophe Ruggia Filme machen oder nicht. Der Skandal besteht darin, dass ihre Position legitimiert wird und die der Betroffenen verhöhnt. Eine Kultur, die sagt: „Ja wir wissen schon, dass Polanski Frauen und Minderjärige vergewaltigt hat, es ist uns aber scheißegal. Er ist ein Star und außerdem, money first. Lasst uns ihm den Preis für die beste Regie geben. Wir klatschen ihm Applaus und den Betroffenen ins Gesicht.“ – ist eine Kultur, die sich auf Diskriminierungen und strukturelle Gewalt stützt. Die Rechte, Bedürfnisse und Kämpfe der Betroffenen werden damit radikal abgelehnt.

Die Vergewaltigung ist kein Einzelfall. Ist auch kein Zufall. Und niemals eine Falle, in welche die betroffenen Personen freiwillig geraten. Sexualisierte Gewalt wird nicht nur von dieser Gesellschaft akzeptiert, sie wird institutionalisiert und dabei routiniert. Der Ausmaß der Angriffe, die bewusste Beihilfe der Justiz, das perverse Erzeugen von Schuldgefühlen bei den Betroffenen als auch das unterdrückende Gesetz des Schweigens. Der allgemeine Diskurs über Sexualität. Die diskriminierenden Hierarchien und Machtverhältnissen. All diese sozialen Phänomenen gestalten eine Vergewaltigungskultur (rape culture), die, wie jede Kultur, ihre eigene Mythologie und ihre eigene Tradition hat. Teil dieser Kultur ist nicht nur die Vergewaltigung in sich, sondern eine ganze Reihe von Verhalten, Gedanken und Ritualen: von der Belästigung bishin zur öffentlichen Anerkennung von Polanskis Film.

Immer wieder taucht das Argument der Trennung von Künstler*in und Werk auf, wenn es um eine Erklärung geht, Filme, Bücher, Ausstellungen oder Konzerte von Gewalttätern nicht boykottieren zu wollen, oder den dagegen gerichteten Protest zu diskreditieren. Diese Debatte kommt uns extrem scheinheilig vor. Und klingt eher nach einer Strategie, um besser mit dem eigenen moralischen Gewissen zurecht zu kommen und ungestört den allgemein gefeierten Film geniessen zu können. Unhinterfragt wird so der „Mainstreamkultur“ die Entscheidung überlassen, welche Filme oder Kunstwerke wir mögen müssen, wenn wir Teil der Gruppe sein wollen

Das Argument der Trennung von Künstler und Werk muss endlich radikal in Frage gestellt werden. Hier ein paar klare Aussagen dazu, die ihr vielleicht in zukünftige Auseinandersetzungen gebrauchen könnt:
1. Es ist zuersteinmal schon ein Privileg, Kunstwerke entspannt geniessen zu können, die im engen Zusammenhang mit struktureller Gewalt stehen. Menschen, die sexualisierte Gewalt schon erlebt haben, können vielleicht nicht ohne einen Film von Polanski geniessen und feiern.
2. Zweitens geht es in diesem Fall um eine Person, die immer noch durch den Wohlstand und Ruhm seiner Filme sehr viel Einfluss genießt. Den Film zu unterstützen, bedeutet auch eine unmittelbare Unterstützung des Künstlers.
3. Indem der Täter trotz allem anerkannt und verehrt wird, werden die Rechte, Bedürfnisse und Kämpfe der Betroffenen radikal abgelehnt. Und diejenigen, die Anerkennung und Unterstützung in dieser Welt brauchen, sind viel mehr die Menschen, die vom Patriarchat unterdrückt werden, als diejenigen, die die unterdrückenden Mechanismen ernähren. Es gibt genug künstlerische Stimmen, die in diesem System noch keinen Raum gefunden haben.


Es wird immer darüber rumdiskutiert, immer noch die Vergewaltigung und ihre Konsequenzen als „Debatte“ geführt. Das reicht jetzt! Es gibt hier nichts zu diskutieren. Die einzigen Konsequenzen hatten bislang immer nur noch die Betroffenen zu erdulden. Sowie es nicht zu diskutieren ist, dass Dreyfus anfangs des 20. Jahrhunderts Opfer einer antisemitischen Gesellschaft war (siehe Handlung von „Intrigue“), ist es nicht zu diskutieren, dass die Anerkennung dieses Films die Legitimisierung sexualisierter Gewalt und von patriarchalischen Machtverhältnissen ist. Wir wehren uns gegen diesen Machtmissbrauch! Wir wehren uns gegen diese Kultur, in der Vergewaltigung toleriert wird. Und wir wehren uns gegen das konsequenzlose Agieren der Institutionen!

Deshalb fordern wir:

An das Publikum

Wir können und wollen niemandem verbieten, Werke von öffentlich bekannten Gewalttätern wie Polanski zu sehen, oder Schuldgefühle bei denen erzeugen, die das schon gemacht haben. Sondern erwarten viel mehr Verantwortungsgefühl und ein kritisches Bewusstsein. Sich in den Sessel zu kuscheln und einen Film anzusehen, der vor kurzem von einem Vergewaltiger gemacht wurde, ist keine konsequenzlose Entscheidung. Wir alle können Einfluss auf unsere Kultur haben, als auch auf die diskriminierenden Machtverhältnisse. Indem wir diesen Film im Kino sehen, unterstützen wir nicht nur den Regisseur selbst Polanski, sondern auch dieses gewalttätige Patriarchat. Manchmal ist es schon ein wirksamer Schritt, einfach nur nicht ins Kino zu gehen, sich zu beschweren oder andere zu informieren, um sich mit den Betroffenen zu solidarisieren und ein klares NEIN zu sexualisierter Gewalt zu setzen.

An Weltkino-Filmverleih, die Yorck-Kinos, Cinestar und Independent-Kinos in Berlin:

Es ist vorrangig in der Verantwortung der Kinobetreibenden, der Filmvertriebe und -verleiher, sich klar gegen eine Ikone der Vergewaltigungskultur wie Polanski zu positionieren. Die Filmauswahl, die Sie ins Programm nehmen, könnte ein politisches, kulturelles und soziales Engagement sein, statt einfach nur eine freiwillige Unterwerfung vor den kapitalistischen Mächten. Wir als verbündete feministische Stimmen fordern, dass die Grundlage dieser Entscheidung öffentlich erklärt wird. Wir fordern auch, dass der Film definitiv aus dem Programm gestrichen wird. Und natürlich sollte sich öffentlich dafür entschuldigt werden, diesen Film ohne Trigger-Warnung aufgeführt zu haben: „Vorsicht, dieser Film wurde von einem Vergewaltiger gemacht.

Solidarisch mit Samantha Geimer, Renate Langer, „Robin M.“, Marianne Bernard, Charlotte Lewis, Mallory Millett, Valentine Monnier und allen anderen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind.. Kein Vergessen!