Ein offener Brief
Und an alle, die sich immer noch fragen, warum es hier um einen gewaltätigen Skandal geht
Es passiert noch immer. Wir schweigen aber nicht mehr. Es wird immer noch von der Gesellschaft bagatellisiert, ja sogar legitimiert. Wir bleiben aktiv, aktiver denn je, und handeln. Wir dürfen nicht zulassen, dass die westliche Kultur einen Vergewaltiger weiter verehrt und damit letzlich allen Betroffenen sexualisierter Gewalt ins Gesicht spuckt.
Die Vergewaltigung ist kein Einzelfall. Ist auch kein Zufall. Und niemals eine Falle, in welche die betroffenen Personen freiwillig geraten. Sexualisierte Gewalt wird nicht nur von dieser Gesellschaft akzeptiert, sie wird institutionalisiert und dabei routiniert. Der Ausmaß der Angriffe, die bewusste Beihilfe der Justiz, das perverse Erzeugen von Schuldgefühlen bei den Betroffenen als auch das unterdrückende Gesetz des Schweigens. Der allgemeine Diskurs über Sexualität. Die diskriminierenden Hierarchien und Machtverhältnissen. All diese sozialen Phänomenen gestalten eine Vergewaltigungskultur (rape culture), die, wie jede Kultur, ihre eigene Mythologie und ihre eigene Tradition hat. Teil dieser Kultur ist nicht nur die Vergewaltigung in sich, sondern eine ganze Reihe von Verhalten, Gedanken und Ritualen: von der Belästigung bishin zur öffentlichen Anerkennung von Polanskis Film.
Immer wieder taucht das Argument der Trennung von Künstler*in und Werk auf, wenn es um eine Erklärung geht, Filme, Bücher, Ausstellungen oder Konzerte von Gewalttätern nicht boykottieren zu wollen, oder den dagegen gerichteten Protest zu diskreditieren. Diese Debatte kommt uns extrem scheinheilig vor. Und klingt eher nach einer Strategie, um besser mit dem eigenen moralischen Gewissen zurecht zu kommen und ungestört den allgemein gefeierten Film geniessen zu können. Unhinterfragt wird so der „Mainstreamkultur“ die Entscheidung überlassen, welche Filme oder Kunstwerke wir mögen müssen, wenn wir Teil der Gruppe sein wollen
Wir können und wollen niemandem verbieten, Werke von öffentlich bekannten Gewalttätern wie Polanski zu sehen, oder Schuldgefühle bei denen erzeugen, die das schon gemacht haben. Sondern erwarten viel mehr Verantwortungsgefühl und ein kritisches Bewusstsein. Sich in den Sessel zu kuscheln und einen Film anzusehen, der vor kurzem von einem Vergewaltiger gemacht wurde, ist keine konsequenzlose Entscheidung. Wir alle können Einfluss auf unsere Kultur haben, als auch auf die diskriminierenden Machtverhältnisse. Indem wir diesen Film im Kino sehen, unterstützen wir nicht nur den Regisseur selbst Polanski, sondern auch dieses gewalttätige Patriarchat. Manchmal ist es schon ein wirksamer Schritt, einfach nur nicht ins Kino zu gehen, sich zu beschweren oder andere zu informieren, um sich mit den Betroffenen zu solidarisieren und ein klares NEIN zu sexualisierter Gewalt zu setzen.
Es ist vorrangig in der Verantwortung der Kinobetreibenden, der Filmvertriebe und -verleiher, sich klar gegen eine Ikone der Vergewaltigungskultur wie Polanski zu positionieren. Die Filmauswahl, die Sie ins Programm nehmen, könnte ein politisches, kulturelles und soziales Engagement sein, statt einfach nur eine freiwillige Unterwerfung vor den kapitalistischen Mächten. Wir als verbündete feministische Stimmen fordern, dass die Grundlage dieser Entscheidung öffentlich erklärt wird. Wir fordern auch, dass der Film definitiv aus dem Programm gestrichen wird. Und natürlich sollte sich öffentlich dafür entschuldigt werden, diesen Film ohne Trigger-Warnung aufgeführt zu haben: „Vorsicht, dieser Film wurde von einem Vergewaltiger gemacht.